Beim Nachdenken über Schutzkonzepte für Einrichtungen und Organisationen sollten Sie unbedingt auch die Gefahren, die sich aus der Nutzung digitaler Medien ergeben, in den Blick nehmen. Auch Online-Risiken sexualisierter Gewalt müssen in einem Schutzkonzept Berücksichtigung finden, denn schließlich bewegen sich die Mädchen und Jungen, für die Sie in Ihrer Einrichtung bzw. Organisation Verantwortung tragen, selbstverständlich in der digitalen Welt. Es gibt in ihrem Erleben keine Trennung zwischen On- und Offline. Das sollte auch für ein umfassendes Schutzkonzept gelten.
Formulieren Sie im Leitbild, dass sich die Haltung Ihrer Einrichtung zur Prävention von sexueller Gewalt auf alle Lebensbereiche und Erfahrungsräume von Kindern und Jugendlichen bezieht: auf analoge und digitale.
Betonen Sie die Potenziale und Entwicklungschancen, die digitale Räume für Mädchen und Jungen bergen. Stellen Sie klar, dass sie nicht nur als Gefahrenquelle wahrgenommen werden dürfen.
Fragen der digitalen Mediennutzung der Beschäftigten, wie sie im Verhaltenskodex geregelt sind, gehören bereits ins Einstellungsgespräch und können auch Gegenstand arbeitsvertraglicher Regelungen sein.
Fragen Sie Bewerberinnen und Bewerber nach Erfahrungen in früheren Arbeitsverhältnissen. Vielleicht können sie diese Erfahrungen bei der Entwicklung digitaler Aspekte im Schutzkonzept einbringen.
Im Verhaltenskodex sollte auch der Umgang mit sozialen Medien berücksichtigt werden. Beispielsweise betrifft die Frage, ob Beschäftigte privaten Umgang zu einzelnen Kindern oder Jugendlichen pflegen dürfen, natürlich auch Kontakte in sozialen Netzwerken. Treffen Sie Regelungen dazu, welche Medien von Beschäftigten gemeinsam mit Kindern oder Jugendlichen genutzt werden können.
Diese Regelungen müssen immer wieder aktualisiert werden, da sich die digitale Mediennutzung ständig verändert. Aber Vorsicht: Lassen Sie sich durch das Thema „digitale Medien“ nicht dazu verleiten, die Kinder und Jugendlichen in die Pflicht zu nehmen und etwa ihnen einen Verhaltenskodex zu geben. Auch im digitalen Raum regelt der Verhaltenskodex das Verhalten Erwachsener zum Schutz von Kindern. Eine zusätzliche Vereinbarung für Kinder und Jugendliche zur Mediennutzung (und zu ihrem Selbstschutz) ist natürlich sinnvoll.
Zum Basiswissen über sexuellen Missbrauch gehören auch die Risiken sexualisierter Gewalt, die sich aus der Nutzung digitaler Medien für Mädchen und Jungen ergeben. Fortbildungen sollten beispielsweise für das Phänomen des Cybergrooming sensibilisieren oder für die Gefahren, die sich aus Sexting (Versenden von eigenen erotischen Aufnahmen oder Texten) ergeben können.
Aber Sensibilisierung allein reicht nicht aus: In Fortbildungen sollten auch spezifische Präventionsansätze und -methoden vorgestellt werden. Das Thema eignet sich besonders für „Auffrischungsveranstaltungen“, denn die schnelle Entwicklung der digitalen Welt erfordert, sich auch über veränderte Risiken auf dem neuesten Stand zu halten. Geeignete Fortbildungs- und Präventionsangebote für Lehrkräfte sowie für Schülerinnen und Schüler können beispielsweise bei den jeweiligen Landesmedienanstalten erfragt werden.
Wenn Regeln zur Nutzung digitaler Medien durch Kinder und Jugendliche in Einrichtungen wirken sollen, dürfen sie nicht nur angeordnet werden. Die Einschränkung der selbstbestimmten Nutzung von Smartphone & Co berührt für viele Jugendliche einen höchstpersönlichen Bereich, in dem sie unbedingt mitbestimmen wollen. Wo Diskussion strikte Verbote ersetzt, können Jugendliche selbst herausfinden, dass bestimmte Beschränkungen für sie auch Vorteile haben können.
Partizipation macht bei digitalen Medien nicht zuletzt auch deshalb Sinn, weil Kinder und Jugendliche hier stets einen Wissensvorsprung gegenüber Erwachsenen haben, der für die Identifikation von Risiken und die Entwicklung von Strategien genutzt werden sollte. Es kann sinnvoll sein, unterschiedliche Regelungen für verschiedene Altersstufen zu treffen.
Zu Präventionsangeboten im weiteren Sinne gehören neben sexualpädagogischen Konzepten immer auch medienpädagogische Konzepte. Das Schutzkonzept ist der geeignete Ort, an dem sich eine Einrichtung oder Organisation darauf verpflichtet, Kinder und Jugendliche fit für die digitale Welt zu machen: fit, um selbstbestimmt und kompetent am digitalen Leben teilzuhaben, aber auch fit, um sich vor sexueller Gewalt schützen zu können. Aber trotz aller Prävention kommt es vor, dass sich Kinder und Jugendliche unvorsichtig im digitalen Raum verhalten und nicht gut selbst schützen, so dass sie sexuelle Gewalt erleben.
Auch in diesen Fällen gilt der Grundsatz: Schuld haben nicht die Opfer, sondern die Täter – sie sind es nämlich, die davon profitieren und dazu die Möglichkeiten des Netzes ausgenutzt haben. Diese Haltung sollte sich in einem modernen Schutzkonzept wiederfinden. Kinder und Jugendliche sollten auch wissen, wo sie (erste) Hilfe bei digitalen Übergriffen erfahren (https://www.hilfe-telefon-missbrauch.online/).
Wer in Einrichtungen als Ansprechperson für Notlagen und Probleme fungiert, sollte auch über einen eigens dafür eingerichteten E-Mail-/ SMS-/WhatsApp-Account kontaktierbar sein. Dieser Zugang senkt die Hürden, sich Hilfe zu holen, denn er entspricht den Kommunikationsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen. Ist der Kontakt hergestellt, gelingt es meist leichter, persönliche Gespräche zu vereinbaren.
Bei problematischen Erfahrungen mittels digitaler Medien können auch Gleichaltrige eine wichtige Beratungsfunktion übernehmen. „Peereducation“ ist aber nicht die Lösung aller Probleme. Bei Fällen von Cybergrooming oder Cybermobbing müssen Betroffene und Peer-Berater wissen, dass sie erwachsene Verantwortliche einschalten sollten.
Ein Notfallplan muss auch für Fälle von sexualisierter Gewalt mittels digitaler Medien Orientierung und Handlungssicherheit vermitteln und die richtigen Schritte vorgeben. Er sollte benennen, in welchen Fällen welche Meldestellen wie beispielsweise jugendschutz.net zu kontaktieren sind.
Schreibt der Notfallplan die Bildung eines Krisenteams vor, muss in Fällen mit digitalem Bezug daran gedacht werden, dass medienkompetente (jüngere) Beschäftigte dazu gehören.
Stellen Sie bei der Erstellung ihres Schutzkonzepts sicher, dass die Fachberatungsstelle, mit der Sie eine Kooperation eingehen wollen, über genügend Wissen zum Thema sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien verfügt. Ist dies nicht der Fall, können Fachleute aus medienpädagogischen Projekten zusätzlich eingebunden werden.
Bei konkreten Fällen ist auch die Hinzuziehung von telefonischer oder Online-Beratung durch das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (0800-2255530 bzw. https://www.hilfe-telefon-missbrauch.online/) ein sinnvolles Vorgehen, das neben der unmittelbaren telefonischen Beratung auch Ansprechpartner vor Ort benennen kann.
Alle weiteren Informationen zu Schutzkonzepten sowie Materialien und Kontakten finden Sie auf der Website www.kein-raum-fuer-missbrauch.de.